Menschenrechtler*innen freilassen!

Das Bild zeigt eine Frau und ein Mann, die an einem Tischen, sie halten einander die Hände

Setzen sich für Menschenrechte in China ein: Anwalt Yu Wensheng und seine Ehefrau Xu Yan (Aufnahme aus dem Jahr 2022).

Am 13. April 2023 wurden der prominente Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng und seine Frau Xu Yan auf dem Weg zu einem Treffen mit Vertreter*innen der Europäischen Union, die zusammen mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock China besuchten, festgenommen. Im Oktober wurden die beiden wegen des Vorwurfs, "Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben" und wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" angeklagt. Ihre Haftbedingungen sind extrem schlecht. Gleichzeitig verschlechtert sich die psychische Gesundheit ihres Sohnes, der kurz vor ihrer Inhaftierung 18 Jahre alt wurde, angesichts der Situation zusehends.

Appell an

Chief Li JunProcurator

Suzhou City People's Procuratorate

No.388 Jiefang East Road

Gusu District, Suzhou City

Jiangsu Province, 215000, CHINA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik China
S. E. Herrn Wu Ken
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail:  presse.botschaftchina@gmail.com 
oder de@mofcom.gov.cn

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Yu Wensheng und seine Frau Xu Yan umgehend und bedingungslos frei, da sie nur deshalb inhaftiert sind, weil sie friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben.
  • Stellen Sie sicher, sie bis zu ihrer Freilassung weder gefoltert noch auf andere Weise misshandelt werden. 
  • Sorgen Sie bitte außerdem dafür, dass ihr Sohn und andere Familienmitglieder nicht belästigt oder bedroht werden.

Sachlage

Der Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng (余文生) und seine Frau Xu Yan (徐艳), beide bekannte Aktivist*innen in China, wollten am 13. April 2023 an einem Treffen mit dem EU-Botschafter in China, Jorge Toledo Albiñana, und anderen hohen EU-Beamt*innen teilnehmen. Doch auf dem Weg zur Delegation der Europäischen Union in Peking wurden sie in Polizeigewahrsam genommen. 

Am 21. Mai 2023 wurden ihre Angehörigen darüber informiert, dass Yu Wensheng und Xu Yan vorgeworfen wird, "Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben". Dieser sehr breit gefasste Straftatbestand wird in China häufig bei der Verfolgung von Menschenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen und Dissident*innen eingesetzt. Im Oktober wurden Yu Wensheng und Xu Yan wegen dieses Vorwurfs und wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" angeklagt. Auf ersteres steht eine Höchststrafe von fünf Jahren Haft, auf den zweiten Vorwurf eine Strafe von bis zu fünf Jahren oder länger, falls die Angeklagten als "Rädelsführer" eingestuft werden. Für den Prozess ist noch kein Datum festgelegt worden. 

Xu Yan soll seit ihrer Inhaftierung 14 Kilo abgenommen haben. Die Haftbedingungen im Pekinger Shijingshan-Gefängnis, wo sie bis Januar 2024 inhaftiert war, kommen möglicherweise Folter oder anderer Misshandlung gleich. Sie wurde beschimpft und von der Polizei eingeschüchtert, die drohte, ihren Sohn festzunehmen, falls dieser sich für sie und Yu Wensheng einsetzen sollte. Die psychische Gesundheit ihres Sohnes, der kurz vor ihrer Inhaftierung 18 Jahre alt wurde, hat sich im vergangenen Jahr massiv verschlechtert. Derzeit leidet er an Depressionen. Im Januar 2024 wurden Yu Wensheng und Xu Yan in das Suzhou-Gefängnis in der Provinz Jiangsu verlegt – fast 1.000 km von ihrem Zuhause in Peking entfernt. Damit verstärkte sich die Isolation ihres Sohnes und das Risiko weiterer psychischer Beeinträchtigungen erhöhte sich. 

Yu Wensheng, der von Amnesty International bereits vor Jahren als gewaltloser politischer Gefangener eingestuft wurde, und seine Frau Xu Yan werden nur deshalb festgehalten, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Im Jahr 2020 wurde der prominente Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" (煽动颠覆国家政权罪) zu vier Jahren Haft und Entzug seiner politischen Rechte verurteilt. Er hatte lediglich sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen. Seit seiner ersten Festnahme im Jahr 2018 hat sich Yu Wenshengs Gesundheitszustand aufgrund schlechter Haftbedingungen und mutmaßlicher Folter und anderer Misshandlungen während der Haft dramatisch verschlechtert. Während Yu Wenshengs erster Inhaftierung kämpfte seine Frau Xu Yan beharrlich für die Freilassung ihres Mannes und unternahm zahlreiche erfolglose Versuche, ihn im Gefängnis zu besuchen. Sie stand unter ständiger Überwachung und wurde von den chinesischen Behörden immer wieder schikaniert, vorgeladen und festgenommen. Sie durfte wiederholt ihr Haus nicht verlassen. 

Yu Wensheng ist der Preisträger des Martin-Ennals-Preises 2021, eines jährlich verliehenen Preises für Menschenrechtsverteidiger*innen, die von einer Jury aus zehn weltweit führenden Menschenrechts-NGOs ausgewählt werden. Am 1. Oktober 2022 wurde er aus der Haft freigelassen. Nur wenige Monate später, am 13. April 2023, wurde er gemeinsam mit seiner Frau Xu Yan erneut festgenommen.

Anfang Dezember 2023 erfuhr Amnesty International, dass die Haftbedingungen von Xu Yan in Peking möglicherweise Folter und anderer Misshandlung gleichkommen. Sie erhielt weniger Bettdecken als andere Häftlinge und musste daher frieren; sie war gezwungen, lange Zeit zu sitzen, was zu geschwollenen Beinen und Schmerzen im unteren Rückenbereich führte; sie wurde von anderen Häftlingen schikaniert und sogar geschlagen und verlor aufgrund der schlechten Qualität des Essens in der Haftanstalt 14 Kilo. Seit ihrer Inhaftierung wurde sie nur einmal von einer*einem Ärzt*in untersucht, wobei ihr Probleme mit dem unteren Rücken attestiert wurden. Genauere Informationen bekam sie nicht. Ende November trat Xu Yan in einen Hungerstreik, um gegen ihre Behandlung und die Verweigerung der ihr zustehenden Rechte zu protestieren.

Seit der Festnahme seiner Eltern lebt der 18-jährige Sohn von Yu Wensheng und Xu Yan allein. Er wird durch die Sicherheitsbehörden streng überwacht. Im November 2023 berichteten zivilgesellschaftliche Gruppen, dass er eine Überdosis an Medikamenten eingenommen hatte und ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Es sei von einem Suizidversuch auszugehen, da sich die Inhaftierung seiner Eltern und seine eigene Überwachung auf seine psychische Gesundheit auswirkten. Die Lage hat sich durch die Verlegung seiner Eltern in die 1.000 Kilometer entfernte Stadt Suzhou noch verschlimmert. Damit wurde ihm die Möglichkeit genommen, Besuche zu beantragen, um sich gegenseitig moralisch unterstützen zu können.